Ein Plädoyer für Komplexitätsreduktion im Reporting

Seit Beginn dieses Jahres erfassen wir unsere Arbeitszeiten mit einer Standardsoftware. Über Jahre hinweg hatten wir geplant, die vielen Excel-Listen der einzelnen Angestellten durch eine eigene Lösung zu ersetzen – immerhin könnten wir damit GENAU unseren Workflow abbilden. Problem nur: Es blieb nie die Zeit, den Plan in die Tat umzusetzen. Zwar war das Thema immer schon wichtig, aber eben nie wirklich wichtiger und dringender als unsere Kundenprojekte. Und Hand aufs Herz: Irgendwie ist es auch albern, für alles eine eigene Lösung zu entwickeln, wenn es bereits Hunderte Tools für Zeiterfassung gibt, die den eigenen Bedarf ziemlich gut treffen.

Dazu kommt: Mit „GENAU unser Workflow“ lügen wir uns selber in die Tasche. Es gibt nicht den EINEN Workflow. Jeder tickt ein bisschen anders, je nach Tag, Projekt und Laune. Montags arbeiten wir anders als freitags, Kundentermine verändern Routinen, Home Office sowieso. Kurzum: Es ergibt schon einfach total viel Sinn, dass man für Allerweltsprozesse das Rad nicht neu erfinden muss.

Und siehe da: Die eingeführte Software tut, was sie soll! Plötzlich haben wir ein verlässliches Stundentracking, haben Transparenz über Fehl- und Überstunden und eine illustre Wahl an Einstellungsmöglichkeiten, die mit einer kleinen Portion Pragmatismus sämtliche Sonderlocken abdecken, von denen wir meinen, dass wir sie uns leisten müssen. Alles wunderbar!

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten (und ja, 5 Euro ins Phrasenschwein): Auf der Auswertungsebene versagt unsere angeschaffte Standardsoftware nämlich. Die Oberfläche wirkt zunächst angenehm reduziert: Fünf Menüpunkte, einer heißt „Auswertungen“. Klingt überschaubar, alles prima, alles wunderbar. Doch sobald man diesen Punkt öffnet, offenbart sich unvermittelt der klassische Nachteil von Standardsoftware: Im übertriebenen Eifer, es allen recht zu machen, macht man es niemandem recht. Statt mir die zwei, drei wirklich relevanten Reports auf dem Silbertablett zu servieren, verliere ich mich in einem Dschungel aus Auswahlmöglichkeiten.

Gängige Probleme bei Konfrontation mit einer Vielzahl vorgefertigter Auswertungsmöglichkeiten

  • Es ist schlicht zu viel: Jeder Report mag für sich genommen sinnvoll sein. Aber wir nutzen nicht nur ein Tool, sondern viele. Und wenn jedes Tool 27 Auswertungen mitbringt, wird’s einfach zu wild. Ich will mich bei Reports fokussieren und schnell Erkenntnisse sammeln, stattdessen erstarre ich angesichts des Irrgartens an Variationen.
  • Es ist zu verwirrend: Die eine Ansicht, die ich brauche, ist zwar da – ich kann sie aufgrund der Vielzahl an Auswahlmöglichkeiten aber gar nicht erfassen oder vergesse regelmäßig, wo oder unter welchem Namen ich sie finde.
  • Es ist zu wenig trennscharf: Was unterscheidet einen „Verlauf Arbeitszeiten“ von einer „Arbeitszeithistorie“? Wieso ist die „Arbeitszeitenübersicht“ in der Kategorie „Überstunden und Fehlzeiten“, nicht aber in der Kategorie „Zeiten“?
  • Es ist zu ähnlich: Bei zu vielen Auswertungen läuft es zwangsläufig darauf hinaus, dass sie sich irgendwann stark ähneln – der Grenznutzen nimmt ab und wird zum Totalausfall.
  • Es ist zu spezifisch: Viele Reports filtern Daten unterschiedlich vor. Setze ich zwei Reports in Relation, muss ich genau prüfen, ob eine vergleichbare Datenbasis zugrunde liegt. Das kostet Zeit, erfordert Konzentration und ist alles andere als intuitiv.
  • Es ist nicht meine Auswertung: Wenn ich eine konkrete Fragestellung habe, will ich in der Regel selbst darüber nachdenken, welche Datenansicht ich zur Beantwortung brauche. Wenn ich nur Standardreports habe, um zu einer Antwort zu kommen, muss ich genau wissen, ob es eine passende Ansicht gibt und welche es war.

Dabei ist das zugrunde liegende Datenmodell bei unserer Zeiterfassung nicht sonderlich komplex: Mitarbeiter/Mitarbeiterin kommt, macht Pause, arbeitet weiter, geht, hat vielleicht mal Urlaub, ist vielleicht mal krank. Allen vertraut, kein Hexenwerk. Wozu braucht es nun also 27 verschiedene Ansichten? Ich brauche keine Sondersichten für jede denkbare Frage – ich brauche wenige, starke Werkzeuge, die meine Fragen flexibel beantworten. Es muss benutzbar bleiben! Lieber mache ich zehn intuitive Klicks im richtigen Werkzeug, als dass ich mit einem Klick zwar theoretisch genau zu meinem Zielbild kommen könnte, dafür aber die Software jahrelang studiert haben müsste.

Wie komplexe Auswertungen ermöglichen ohne verwirrend zu sein? – Ein paar Dinge haben sich bei uns bewährt:

  • Dashboards zum Selberbauen: Lasst die User eigene Dashboard bauen, in denen sie entscheiden welche Auswahl von Standardreports sie regelmäßig sehen wollen – und welche nicht
  • Views anlegen: Lasst die User ihre Filter abspeichern, um wiederkehrend darauf zuzugreifen, ohne jedes Mal neu konfigurieren zu müssen (oder zu prüfen, ob die gewünschte Einstellung noch richtig gecacht ist)
  • Intuitive Report-Namen: Lasst die User eigene Namen vergeben, die für sie intuitiv sind, nicht für die Hersteller.
  • Tabellen bearbeitbar machen: Lasst User Spalten ein- und ausblenden, sortieren, Spaltenreihenfolgen anpassen.
  • Prioritäten setzen: Gebt unterschiedlicher Relevanz unterschiedliche Präsenz: Reports, die erwartungsgemäß häufiger genutzt werden, sollten präsenter sein als solche, die „vielleicht mal ganz nett sind“
  • Cluster bilden: Ähnliche Reports sinnvoll bündeln, nicht willkürlich.
  • Weniger ist mehr: Macht euren bestehenden Report im Zweifel konfigurierbar, anstatt einen sehr ähnlichen Report daneben zu legen.
  • Geschmackssache, aber ich bin ein Fan davon**: Von der Grundgesamtheit ausgehen:** Baut Reports so, dass sie auf möglichst hoher Ebene funktionieren und damit möglichst wenige, klar erfassbare Vorfilter nutzen. Wer tiefer einsteigen oder Clustern möchte, soll zusätzliche Filter anwenden. Einem Report, der mit Magie und Zufall bestimmt, welche Daten er enthält, vertraue ich nicht. Es muss plausibel sein, welche Datensätze im Report enthalten sind und welche nicht.
  • Ein Datenanker: Eines meiner großen Probleme mit Standardreports ist, dass sie alle irgendwelche Vorfilter nutzen und ich nie weiß, welche Datensätze mir durchrutschen. Denn vielleicht rutschen sie nur durch, weil bestimmte Eigenschaften nicht oder falsch gepflegt sind.
  • Globale Filter: Es gibt mitunter Anwendungsfälle, in denen ich nicht jede Auswertung einzeln konfigurieren will, sondern bspw. übergreifende Filter setzen möchte, um nicht jede Auswertung einzeln filtern zu müssen.

Mein Fazit

Gut, dass wir Individualsoftware entwickeln und ich leicht Reden schwingen kann, wo mir keine 200 Kunden mit 300 Meinungen im Nacken sitzen. Aber im Ernst: Es gibt ein gewisses Einmaleins der UI-Gestaltung und dort ist Klarheit eine der obersten Prämissen. Die wenigsten Softwarelösungen werden vorwiegend von Power-Usern genutzt, denen man gerne auch etwas Komplexität zumuten darf. Für die Masse brauche ich keine ebenso große Masse an Lösungen, sondern wenige, intuitiv nutzbare Werkzeuge, die einfach, aber mächtig sind und vor allem transparent in Bezug auf die Grundgesamtheit der Daten in meiner Software.